Emilian Dranca
Erste Teil
„Der neue Mensch“
ist mehr als ein ideologische Begriff. Der „neue Mensch“ ist ein Projekt und
ein ganzer Prozess. Das Konzept des „neuen Menschen“ gibt es nicht nur im Totalitarismus.
Möglicherweise wollen alle Gesellschaften und politischen Regime einen anderen,
neuen Menschen erschaffen. Es gilt ebenso in den abendländischen Demokratien.
Wie die französische Revolution (1789) einen neuen Archetyp für das Individuum hervorgebracht
hat – frei und befreit von dem sogenannten l`Ancien regime – so hat auch der
amerikanische Sezessionskrieg (1861-1865) einen neuen Archetyp des Individuums
in den Vereinigten Staaten von Amerika geschaffen. Die Franzosen und die
Amerikaner haben versucht diesen Archetypen einen Weg in die Welt zu weisen. Folglich
können die „neuen französischen Menschen“ vom Ende des 18. Jahrhunderts und der
„neue amerikanische Mensch“ vom Ende des 19. Jahrhunderts Exportartikel werden.
Der „neue Mensch“ kann auch ein Symbol, ein Spiegel der Gesellschaft sein.
In dieser
Betrachtungunsgsweise habe ich versucht das Projekt des „neuen Menschen“ als
ein Durchgangritual zwischen zwei ganz verschiedenen politische Regimen zu
betrachten. Daher wird im ersten Teil der Begriff des „Ritual“ verwendet, wo
eine religiöse Dimension anklingt. Wir haben weiterhin eine Dimension der
„Gewalt“, weil wir die Projekte des „neuen Menschen“ in eine Debatte über
Ideologie, insbesondere über die neuen Begriffe und Analysen aus Rumänien nach
1989, eingerahmt haben. Einer der „neuen“ Begriffe ist der der „politischen
Religionen“. In den westlichen Gesellschaften haben ihn die Philosophen Raymond
Aron und Voegelin benutzt. In Rumänien wurde der Begriff von Vladimir Tismăneanu
und Daniel Sandru aufgegriffen. Im zweiten Teil ziehe ich das wichtige Werk
Eric Voegelins: Die politische Religionen (1938) als Erklärungskonzept
heran. Ins Rumänische ist lediglich der Band „Die politische Religion“ übersetzt
worden (Religiile politice, Humanitas, Bucureşti, 2011). Voegelin zeigt darin
eine besondere Struktur des Menschen und der Welt: eine quaternäre Struktur.
Diese Struktur hat folgende Hierarchie: der Mensch, die Gesellschaft, das
Universum (die Welt), Gott. Wenn mal diese Struktur sich in Form einer Pyramide
vorstellt, steht an der Spitze Gott, darunter das Universum, dann die Gesellschaft
und ganz unten der Mensch. Für das Projekt des „neuen Menschen“ in totalitären
Systemen hat der „neue Mensch“ keine Beziehung mit der Spitze der Hierarchie,
also mit Gott. Hingegen ist dann an der Spitze nicht mehr Gott sondern der „(neue)
Mensch“ selbst. Diese letzten Probleme werden im dritten Teil der vorliegenden
Untersuchung vorgestellt. Die erste, wichtigste und grundlegendste Frage dafür
ist folgende: Hat der Kommunismus einen neuen Menschen geschaffen?
In Wirklichkeit
ist das Projekt des „neuen Menschen“ von der Staatsmacht eingeführt und nicht
für die Gesellschaft konzipiert. In dieser Beziehung zwischen Staatsmacht und
Gesellschaft, durch den „neuen Menschen“ macht die Staatsmacht nichts für die
Gesellschaft, für die Verbesserung des menschlichen Lebens. Dagegen strebt die
Staatsmacht nach einer radikalen Veränderung. Diese Veränderung beginnt nicht
mit der Masse in ihrer grossen Komplexität. Sie beginnt mit dem Menschen, mit
dem Individuum: „dem neuen Menschen“, homo sovieticus, mit dem Arbeiter, mit
dem Proletarier. Daher bedeutet der neue Mensch eine Versetzung. Zuerst eine
Versetzung im individuellen Sinne und dann eine Versetzung im sozialen und
gesellschaftliche Sinne. Das Projekt des „neuen Menschen“ ist ein wichtig
Schritt in der Schaffung einer totalitären Gesellschaft und Herrschaft.
„Der neue
Mensch“ als Begriff und als politische Idee, als philosophischer und sozialer Gedanke
ist dem Totalitarimus des 20. Jahrhunderts vorausgegangen. Jenseits von
Meinungsverschiedenheiten der Historikers und Philosophen, wie z.B. Georg
Lachmann[1]
Mosse und Hannah Arendt[2]
und Stephane Courtois[3].
Jenseits der Debatte über die Ursprunge totalitärer Herrschaft[4]
kann man beobachten, dass „der neue Mensch“ eine Idee, ein Werkzeug war,
welches die totalitären Regime benutzt haben, um eine neue Ordnung zu schaffen.
In Deutschland hätte das Nationalsozialistische Regime zwischen 1933-1945 ohne
eine breite und offene Unterstützung der Massen nicht existieren können. Diese
Menschen mussten kulturell[5]
und wirtschaftlich das neue Regime unterstützen. Ein wichtiges Charaktermerkmal
ist die Allgegenwart des Regime in den beiden Sphären des Leben: privat und
öffentlich. Wie und warum? Weil das Regime einschließlich der totalitären
Partei einen „neuen Menschen“ schaffen wollen. Für den „neuen Menschen“ soll
der Staat und die Partei über der Familie, dem Beruf, den Leidenschaften
stehen. Und das Positionieren ist gewinnt dank der verschiedenen Symbole,
Angst, Terror und Machtsmechanismen von Staat und Partei. An der Spitze der
Partei und des Staates steht ein einziger Mensch: der Generalsekretär, der
Führer, der Prasident, der lider, conducatorul,[6]
capitanul,[7]
il duce,[8]
oder eine Wiederholung des französischen Ausdrucks: l`Etat c`est moi
(der Staat bin ich).[9] Theoretisch soll der „neue Mensch“ durch
die Ideologien und durch die Propaganda ein starker Mensch sein, stämmiger,
athletischer, gesünder, klüger, etc. Stets findet man das Ideal: mehr, mehr,
mehr... Wer diese Wertorientierung des „neuen Menschen“ nicht hat, ist kein
zufriedener Untertan sondern wahrscheinlich ein Opponent. Aber hat der
Totalitarimus – im speziellen Fall der
Kommunismus – einen „neue Menschen“ geschaffen?
[1] Georg Lachmann Mosse (1918-1999), Ein
Volk, ein Reich, ein Führer. Die völkischen Ursprunge des Nationalsozialismus,
Athenäum, Konigstein im Taunus, 1979, und Der nationalsozialistische Alltag,
Beltz-Athenäum, Weinheim, 1993, und Die Nationalisierung der Massen.
Politische Symbolik und Massenbewegungen von den Befreiungskriegen bis zum
Dritten Reich, Campus, Frankfurt, 1993.
[2] Hannah Arendt (1906-1975), Elemente
und Ursprunge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale
Herrschaft, Piper, München, Zürich, 16 Auflage, August 2013.
[3]
Stephane Courtois (*1947), Le Livre noir du communism. Crimes, terreur,
repression, avec Nicolas Werth,
Jean-Louis Panne, Andrzej Packowski, Karel Bartosek, Jean-Louis Margolin,
Robert Laffront, Paris, 1997, und Quand tombe la nuit. Origines et emergence
des regimes totalitaires en Europe 1900-1934 (dir.), L`Age d`Homme,
Lausanne, 2001, Une si longue nuit. L`apogee des regimes totalitaires en
Europe, 1935-1953 (dir.), Editions du Rocher, 2003, Communisme et
totalitarisme, Perrin, Paris, 2009.
[4] Stephane Courtois sieht die Ursprunge
totalitärer Herrschaft in der leninistischen Bewegung, bei Lenin und seinem
bolschewistischen Denken. Dagegen verorten George Mosses und Hannah Arendt die
Ursprünge des Totalitarismus nicht nur beim Kommunismus sondern auch beim
Nationalsozialismus.
[5] Man muss
in diesem Fall die Verbrennnung des Bucher erinnern.
[6] Nicolae Ceauşescu (1911-1989)
[7] Corneliu Zelea Codreanu
[8] Benito Mussolini
[9] Auch in der Zeit von Charles de Gaule kann
beobachten eine „personification de l`Etat“‘, eine Personifikation des Staats.
Hans Sterken, De Gaulle hat gesagt... Eine Dokumentation seiner Politik,
Seewald Verlag Stuttgart, 1967