luni, 11 mai 2015

„Der neue Mensch“ als Durchgangsritual zwischen zwei politischen Regimen



                                                        Emilian Dranca

                                                            Erste Teil

„Der neue Mensch“ ist mehr als ein ideologische Begriff. Der „neue Mensch“ ist ein Projekt und ein ganzer Prozess. Das Konzept des „neuen Menschen“ gibt es nicht nur im Totalitarismus. Möglicherweise wollen alle Gesellschaften und politischen Regime einen anderen, neuen Menschen erschaffen. Es gilt ebenso in den abendländischen Demokratien. Wie die französische Revolution (1789) einen neuen Archetyp für das Individuum hervorgebracht hat – frei und befreit von dem sogenannten l`Ancien regime – so hat auch der amerikanische Sezessionskrieg (1861-1865) einen neuen Archetyp des Individuums in den Vereinigten Staaten von Amerika geschaffen. Die Franzosen und die Amerikaner haben versucht diesen Archetypen einen Weg in die Welt zu weisen. Folglich können die „neuen französischen Menschen“ vom Ende des 18. Jahrhunderts und der „neue amerikanische Mensch“ vom Ende des 19. Jahrhunderts Exportartikel werden. Der „neue Mensch“ kann auch ein Symbol, ein Spiegel der Gesellschaft sein.
In dieser Betrachtungunsgsweise habe ich versucht das Projekt des „neuen Menschen“ als ein Durchgangritual zwischen zwei ganz verschiedenen politische Regimen zu betrachten. Daher wird im ersten Teil der Begriff des „Ritual“ verwendet, wo eine religiöse Dimension anklingt. Wir haben weiterhin eine Dimension der „Gewalt“, weil wir die Projekte des „neuen Menschen“ in eine Debatte über Ideologie, insbesondere über die neuen Begriffe und Analysen aus Rumänien nach 1989, eingerahmt haben. Einer der „neuen“ Begriffe ist der der „politischen Religionen“. In den westlichen Gesellschaften haben ihn die Philosophen Raymond Aron und Voegelin benutzt. In Rumänien wurde der Begriff von Vladimir Tismăneanu und Daniel Sandru aufgegriffen. Im zweiten Teil ziehe ich das wichtige Werk Eric Voegelins: Die politische Religionen (1938) als Erklärungskonzept heran. Ins Rumänische ist lediglich der Band „Die politische Religion“ übersetzt worden (Religiile politice, Humanitas, Bucureşti, 2011). Voegelin zeigt darin eine besondere Struktur des Menschen und der Welt: eine quaternäre Struktur. Diese Struktur hat folgende Hierarchie: der Mensch, die Gesellschaft, das Universum (die Welt), Gott. Wenn mal diese Struktur sich in Form einer Pyramide vorstellt, steht an der Spitze Gott, darunter das Universum, dann die Gesellschaft und ganz unten der Mensch. Für das Projekt des „neuen Menschen“ in totalitären Systemen hat der „neue Mensch“ keine Beziehung mit der Spitze der Hierarchie, also mit Gott. Hingegen ist dann an der Spitze nicht mehr Gott sondern der „(neue) Mensch“ selbst. Diese letzten Probleme werden im dritten Teil der vorliegenden Untersuchung vorgestellt. Die erste, wichtigste und grundlegendste Frage dafür ist folgende: Hat der Kommunismus einen neuen Menschen geschaffen?
In Wirklichkeit ist das Projekt des „neuen Menschen“ von der Staatsmacht eingeführt und nicht für die Gesellschaft konzipiert. In dieser Beziehung zwischen Staatsmacht und Gesellschaft, durch den „neuen Menschen“ macht die Staatsmacht nichts für die Gesellschaft, für die Verbesserung des menschlichen Lebens. Dagegen strebt die Staatsmacht nach einer radikalen Veränderung. Diese Veränderung beginnt nicht mit der Masse in ihrer grossen Komplexität. Sie beginnt mit dem Menschen, mit dem Individuum: „dem neuen Menschen“, homo sovieticus, mit dem Arbeiter, mit dem Proletarier. Daher bedeutet der neue Mensch eine Versetzung. Zuerst eine Versetzung im individuellen Sinne und dann eine Versetzung im sozialen und gesellschaftliche Sinne. Das Projekt des „neuen Menschen“ ist ein wichtig Schritt in der Schaffung einer totalitären Gesellschaft und Herrschaft.
„Der neue Mensch“ als Begriff und als politische Idee, als philosophischer und sozialer Gedanke ist dem Totalitarimus des 20. Jahrhunderts vorausgegangen. Jenseits von Meinungsverschiedenheiten der Historikers und Philosophen, wie z.B. Georg Lachmann[1] Mosse und Hannah Arendt[2] und Stephane Courtois[3]. Jenseits der Debatte über die Ursprunge totalitärer Herrschaft[4] kann man beobachten, dass „der neue Mensch“ eine Idee, ein Werkzeug war, welches die totalitären Regime benutzt haben, um eine neue Ordnung zu schaffen. In Deutschland hätte das Nationalsozialistische Regime zwischen 1933-1945 ohne eine breite und offene Unterstützung der Massen nicht existieren können. Diese Menschen mussten kulturell[5] und wirtschaftlich das neue Regime unterstützen. Ein wichtiges Charaktermerkmal ist die Allgegenwart des Regime in den beiden Sphären des Leben: privat und öffentlich. Wie und warum? Weil das Regime einschließlich der totalitären Partei einen „neuen Menschen“ schaffen wollen. Für den „neuen Menschen“ soll der Staat und die Partei über der Familie, dem Beruf, den Leidenschaften stehen. Und das Positionieren ist gewinnt dank der verschiedenen Symbole, Angst, Terror und Machtsmechanismen von Staat und Partei. An der Spitze der Partei und des Staates steht ein einziger Mensch: der Generalsekretär, der Führer, der Prasident, der lider, conducatorul,[6] capitanul,[7] il duce,[8] oder eine Wiederholung des französischen Ausdrucks: l`Etat c`est moi (der Staat bin ich).[9]     Theoretisch soll der „neue Mensch“ durch die Ideologien und durch die Propaganda ein starker Mensch sein, stämmiger, athletischer, gesünder, klüger, etc. Stets findet man das Ideal: mehr, mehr, mehr... Wer diese Wertorientierung des „neuen Menschen“ nicht hat, ist kein zufriedener Untertan sondern wahrscheinlich ein Opponent. Aber hat der Totalitarimus –  im speziellen Fall der Kommunismus – einen „neue Menschen“ geschaffen?


[1] Georg Lachmann Mosse (1918-1999), Ein Volk, ein Reich, ein Führer. Die völkischen Ursprunge des Nationalsozialismus, Athenäum, Konigstein im Taunus, 1979, und Der nationalsozialistische Alltag, Beltz-Athenäum, Weinheim, 1993, und Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen von den Befreiungskriegen bis zum Dritten Reich, Campus, Frankfurt, 1993.
[2] Hannah Arendt (1906-1975), Elemente und Ursprunge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, Piper, München, Zürich, 16 Auflage, August 2013.
[3] Stephane Courtois (*1947), Le Livre noir du communism. Crimes, terreur, repression,  avec Nicolas Werth, Jean-Louis Panne, Andrzej Packowski, Karel Bartosek, Jean-Louis Margolin, Robert Laffront, Paris, 1997, und Quand tombe la nuit. Origines et emergence des regimes totalitaires en Europe 1900-1934 (dir.), L`Age d`Homme, Lausanne, 2001, Une si longue nuit. L`apogee des regimes totalitaires en Europe, 1935-1953 (dir.), Editions du Rocher, 2003, Communisme et totalitarisme, Perrin, Paris, 2009.
[4] Stephane Courtois sieht die Ursprunge totalitärer Herrschaft in der leninistischen Bewegung, bei Lenin und seinem bolschewistischen Denken. Dagegen verorten George Mosses und Hannah Arendt die Ursprünge des Totalitarismus nicht nur beim Kommunismus sondern auch beim Nationalsozialismus.
[5] Man muss  in diesem Fall die Verbrennnung des Bucher erinnern.
[6] Nicolae Ceauşescu (1911-1989)
[7] Corneliu Zelea Codreanu 
[8] Benito Mussolini 
[9] Auch in der Zeit von Charles de Gaule kann beobachten eine „personification de l`Etat“‘, eine Personifikation des Staats. Hans Sterken, De Gaulle hat gesagt... Eine Dokumentation seiner Politik, Seewald Verlag Stuttgart, 1967

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